Welthauptstadt des Handschuhs Entwicklung der Stoffhandschuhindustrie in Limbach und Umgebung |
1775-1780 | In diesem Zeitraum schaffen unabhängig voneinander der Engländer Crane und der Holländer Vandyke mit dem Handkettenstuhl ein neues mechanisches Verfahren zur Herstellung von Kettengewirken. Mit einer längs zugeführten Fadenschar, der sogenannten „Kette“, werden mit den vom Handkulierstuhl übernommenen Spitzennadeln mit Presse sowie veränderten Einschließ- bzw. Abschlagplatinen und den neuen Lochnadeln zur Führung der Kettfäden reihenweise Maschen gebildet. Die in den Kettengewirken längs verlaufenden Fäden bilden einen leichten, flexiblen, relativ festen und nicht auftrennbaren Maschenstoff. Die Bindungen lassen sich relativ leicht verändern, so dass durchbrochene, poröse oder auch dichte Flächen mit unterschiedlicher Dicke hergestellt werden können. Sie sind damit sehr gut geeignet für die Fertigung feiner, modischer Fingerhandschuhe. | ||||||||||||||||||||||||||||
1811 | wird der erste Handkettenstuhl in Limbach aufgestellt. In kurzer Zeit werden viele weitere Stühle - in Sachsen vor allem in den Regionen Limbach und Olbernhau - nachgebaut und von den Limbacher „Strumpfwirkern“ zur Herstellung von Schneidhandschuhen eingesetzt. Die auf den Handkettenstühlen gefertigten Stoffstreifen sind der Handbreite angepasst, werden von Hand zugeschnitten und von Hand vernäht. Als elegante Damenhandschuhe dienen „Filethandschuhe“ (z. T. auch mit Stoff hinterlegt) oder „Halbhandschuhe“ (Müffel, Menotten) ohne bzw. mit halben Fingern und Daumen. Das Material ist vorzugsweise Baumwolle, für sehr feine Handschuhe auch Seide. Außerdem wird mit Wolle „Tuch“ gewirkt, danach gewalkt und gefärbt. Der besonders dichte, verfilzte Stoff wird zugeschnitten und zu wärmenden „Tuchhandschuhen“ vernäht. Die Bindung besteht aus einem oder aus zwei Fadensystemen. Die von Hand gesteuerte Legung der Fadensysteme ermöglicht eine sehr große Bindungsvielfalt, wie der Atlas als Beispiel für ein Fadensystem im Bild 3 zeigt. | ||||||||||||||||||||||||||||
1840-1850 | geht der Umsatz der Limbacher Strumpfwirkerei infolge übermächtiger ausländischer Konkurrenz drastisch zurück, dagegen nimmt die Fertigung der kettengewirkten Handschuhe in Limbach zu. Neben der zünftigen Herstellung in den Strumpfwirkerfamilien übernehmen in dieser Zeit die ersten Handschuhfabriken die vorindustrielle Fertigung. Die ältesten Firmen sind als kleine Familien- bzw. Handwerksbetriebe gegründet worden, zumeist von Strumpfwirkmeistern der Limbacher Innung (der 1835 etwa 500 Meister angehörten und die seit ihrer Gründung 1180 Strumpfwirker zu Meistern gesprochen hatte). | ||||||||||||||||||||||||||||
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Ab 1855 | etwa können in den Handschuhfabriken mit mechanisierten Handkettenstühlen („Drehkettenstühlen“) Handschuhstoffe mit Breiten bis etwa 2 m gefertigt werden. Diese breiteren Stoffe lassen sich in den Limbacher Appreturen besser ausrüsten, z.B. spannen und färben. Das Ausschneiden der Teile von Hand nach Schablonen wird durch das Ausschlagen mit Schneidformen verbessert. Die Bezeichnung lautet nun meist „Stoffhandschuh“. | ||||||||||||||||||||||||||||
Um 1860 | kommt anstelle des Nähens von Hand zunehmend maschinelles Nähen zum Einsatz. Viele dieser Spezial-Nähmaschinen liefern Maschinenfabriken aus der Region - Hermann Reichenbach (ab 1840), Julius Köhler (1874 in Falken gegründet, ab 1876 in Limbach). Für die Konfektion sind viele Arbeitsschritte nötig, wobei meist nur das Schneiden/Stanzen und das abschließende Verpacken in den relativ kleinen Handschuhfabriken erfolgt, das Zwickeln (Besticken), Nähen, Wenden und Formen erledigen meist Heimarbeiterinnen. | ||||||||||||||||||||||||||||
1861 | wird die Gewerbefreiheit und damit die Aufhebung des Innungszwanges in Sachsen proklamiert. Das schafft in der Region Limbach sehr günstige Bedingungen für die Entwicklung der Wirkindustrie und aller Zulieferzweige. | ||||||||||||||||||||||||||||
1863 | gründet Ernst Leberecht Saupe die erste deutsche Wirkmaschinenfabrik zur Herstellung von Kettenstühlen. Anfangs werden mechanische Kettenstühle gebaut, die durch Muskelkraft („Drehstühle“) oder über Transmissionen angetrieben werden. Die nach dem Vorbild der Handkettenstühle konstruierten Maschinen haben horizontal angeordnete Spitzennadeln und zwei oder mehrere Legeschienen. Schon nach kurzer Zeit wird von Saupe an der Karlstraße (heute Sachsenstraße) eine stark vergrösserte Fabrikanlage errichtet. Bei den verbesserten Saupe-Kettenstühlen der zweiten Generation werden bereits alle Bewegungen der Wirkwerkzeuge - Spitzennadeln, Presse, kombinierte Einschließ-/ Abschlagplatinen, Lochnadeln - von einer rotierenden Exzenterwelle gesteuert. Diese Kettenstühle arbeiten mit einer maximalen Wirkgeschwindigkeit von etwa 25 Maschenreihen pro Minute vorwiegend Handschuhstoffe. | ||||||||||||||||||||||||||||
Ab 1869 | gibt es die von der Limbacher Wirkindustrie angestrebte und mitfinanzierte höhere Textilausbildung in Limbach an der von Prof. Gustav Willkomm geleiteten Wirkschule. | ||||||||||||||||||||||||||||
Ab 1870 | wird das Zuschneiden der Handschuhteile durch mehrlagiges maschinelles Stanzen genauer und effektiver gestaltet. Wichtigster Hersteller der Stanzen und Stanzformen ist die Firma August Esche, eine der ersten Maschinenbaufirmen in Limbach (1846 gegründet). | ||||||||||||||||||||||||||||
1880 | beginnt die Firma Saupe mit dem Bau von Milanese-Kettenstühlen auf der Basis eines Patentes, dass dem Limbacher Maschinenbauer Theodor Bachmann am 24.02.1880 erteilt wird. Der Milanesestuhl ist eine englische Erfindung, den ersten deutschen Milanesestuhl hat Bachmann 1879 selbst gebaut. Die Beschreibung dieser Maschine für die Patentanmeldung hat Prof. Willkomm gefertigt. 2 Tage vor der Patenterteilung verstirbt Bachmann, dessen Erben verkaufen die Maschine und das Patent an Ernst Saupe. Die bindungstechnisch neuartigen Milanese-Gewirke (Atlas ohne Umkehrreihen) eignen sich besonders gut für die Herstellung der sehr gefragten „Stoffhandschuhe". 1887 nimmt die Firma Saupe die Eigenproduktion von Milanese-Gewirken für die sich stürmisch entwickelnde ortsansässige Handschuhindustrie auf. | ||||||||||||||||||||||||||||
1883 | gibt es in den Limbacher Stoffhandschuhfabriken nur 96 Fabrikarbeiter. Die hervorragende Auftragslage führt zur Vergrößerung und Modernisierung der Fabriken, u. a. auch zur fabrikmäßigen Konfektion. | ||||||||||||||||||||||||||||
1890-1895 | steigt die Zahl der Fabrikarbeiter von 615 auf 813. Die Stoffhandschuh-Branche rückt damit an die erste Stelle der Textilindustrie in Limbach, und sie beschäftigte zusätzlich viele Heimarbeiter und „Zulieferer“. Zu den letzteren gehören u. a. die Verpackungsmittel- und Kartonagenhersteller, die Nähfadenhersteller und das Transportgewerbe. Die Limbacher Stoffhandschuhe aus Kettengewirken erobern den Weltmarkt. Besonders erfolgreich sind die modischen Wildlederimitate, deren Stoffe und „Zwickelmuster“ immer anspruchsvoller werden. Zur Ausrüstung der etwa 2 m breiten Stoffe kommen neben dem üblichen Bleichen und Färben neue Appreturen, aber auch Schleifen, Rauhen, Scheren, Pressen und Mangeln hinzu. Aussehen, Formstabilität, Waschbarkeit und Festigkeit der Handschuhstoffe werden damit enorm verbessert. Handschuhe sehr hoher Qualität sind in der Regel das Produkt der großen Betriebe, die die teuren Maschinen zur Herstellung der feinsten Stoffe und besonders qualifizierte Arbeitskräfte haben. Kleinere Fabriken fertigen meist Stapelware oder sie spezialisieren sich auf bestimmte Fertigungsabschnitte. Nordamerika wird der wichtigste Markt für die Stoffhandschuhe aus Limbach. Der Handschuh im Bild 7 ist ein ganz spezielles Limbacher Modell für die Weltausstellung in Chicago 1893. Die Kulier- und Strickhandschuhe werden dagegen zur Spezialität von Firmen in Grüna, Mittelbach, Wüstenbrand, Rabenstein, Siegmar und anderen Orten im Umkreis von Limbach. Außer dem Kettenwirkmaschinenbau, der Nadel- und Platinenfertigung entwickelt sich in Limbach auch ein leistungsfähiger Nähmaschinenbau - allen voran die Firma Julius Köhler - mit Spezialmaschinen für die Handschuhnähte und die Zwickel-Verzierungen. Viele Spezialarbeiten vergeben die Handschuhfirmen über sogenannte „Faktoren“, die das Zwickeln, Schlitzen, Säumen, Vernähen von Knopf und Knopfloch bzw. das Einschlagen der Druckknöpfe (ab 1890 der „Druckknopf-Handschuh“) organisieren und überwachen. Das Formen, Verpacken und Versenden erfolgt wieder in den Handschuhbetrieben, von denen sich viele zu weltweit bekannten Exportfirmen entwickeln. Etwa 4 Monate dauert die gesamte Fertigung von Stoffhandschuhen mit bis zu 40 Arbeitsstufen. Um die von den meisten Firmen angestrebte hohe Qualität in allen Stufen zu erreichen, wird sehr viel in Technik und Personal investiert. So werden z. B. die Schneidformen für die unterschiedlichen Größen und Handschuhformen immer wieder verbessert und als Betriebsgeheimnis gehütet, um die optimale Passform zu erreichen. Gute Fachkräfte werden im Betrieb und bei den Zulieferern ausgebildet und gefördert. Die Region Limbach ist nun ein komplettes Zentrum der Handschuhfertigung auf höchstem Niveau. Viele Firmen werben mit „Fabrikation nur besserer Qualitäten“ oder mit „Fabrik feiner Stoffhandschuhe - Glove makers - Manufakture de Gants“. Die großen (zum Teil noch erhaltenen) Fabrikgebäude werden zumeist im Zeitraum von 1880 bis 1910 errichtet. | ||||||||||||||||||||||||||||
Um 1900 | gehen 60% der Limbacher Stoffhandschuhe nach Amerika und 30% nach England, die restlichen 10% entfallen auf alle übrigen Länder einschließlich des Inlandbedarfs. Damit ist Limbach die Welthauptstadt des Handschuhs! Die Beteiligung Limbacher Firmen an Weltausstellungen - Chigaco 1893, St. Louis 1904 - hat wesentlich dazu beigetragen. | ||||||||||||||||||||||||||||
1905 | gibt es in Limbach 1123 Beschäftigte in 71 Betrieben mit Handschuhfabrikation, davon 1 Betrieb mit über 100 Beschäftigten, 3 mit über 50, 13 mit über 20 und 54 Kleinbetriebe mit bis zu 20 Beschäftigten. Strumpfwaren wurden nur noch in 6 Betrieben (mit 68 Beschäftigten) und Trikotagen in 25 Betrieben (mit bereits 1021 Beschäftigten) hergestellt. Bemerkenswert hoch ist die Zahl der insgesamt 2537 Arbeitsplätze in der Limbacher Textilindustrie, mit eingerechnet die 325 Beschäftigten in den Veredlungsbetrieben (Färberei, Appretur, Bleicherei, Wäscherei), aber ohne die Heimarbeiter! - bei einer Einwohnerzahl von 13.724! Unter Berücksichtigung der Heimarbeiter, der Wirk- und Nähmaschinenbauer, der Nadel- und Platinenmacher, der Kartonagenarbeiter, der Transportarbeiter und anderen Hilfskräften haben fast alle arbeitsfähigen Einwohner (auch die Schulkinder!) in der Region Limbach für die Herstellung und den Versand von Handschuhen und Trikotagen gearbeitet. | ||||||||||||||||||||||||||||
1913 | beträgt der Gesamtexport der sächsischen Stoffhandschuh-Industrie (vorwiegend in der Region Limbach, Burgstädt und Chemnitz) 40,906 Millionen Goldmark. Mit dem Preis pro Dutzend nach England von 5,88 Goldmark lassen sich etwa folgende Stückzahlen berechnen: 6,956 Millionen Dutzend = 83,482 Millionen Paar bei 300 Arbeitstagen im Jahr etwa 278.000 Paar pro Arbeitstag. Das ist die höchste Leistung der Welthauptstadt des Stoffhandschuhs. | ||||||||||||||||||||||||||||
1900-1920 | liefern die Kettenwirkmaschinenbauer - v. a. die Firmen Saupe/Limbach und Wirth/Hartmannsdorf - wesentliche Verbesserungen und Neuentwicklungen für die Stoffhandschuhbranche. Die Kettenstühle können noch feinere Stoffe mit Maschinenfeinheiten bis zu 30S (30 Nadeln auf 23,6mm), breitere Stoffe bis zu 120 Zoll S (4248mm) produktiver mit bis zu 90 Maschenreihen/Minute bei geringerer Fehlerzahl produzieren. Um Handschuhstoffe mit zwei gleichen Seiten zu erhalten, hatten Limbacher Firmen zwei Kettengewirke so miteinander verklebt, dass außen nur rechte Maschenseiten vorhanden waren. Diese sogenannten „Duplex-Stoffe“ waren aber teuer und etwas steif. Mit den von der Firma Wirth 1909 und der Firma Saupe 1914 patentrechtlich geschützten Doppelkettenstühlen können „Simplex-Stoffe“ mit zwei rechten Maschenseiten in einem Arbeitsgang und mit besserer Qualität hergestellt werden. | ||||||||||||||||||||||||||||
Mit dem 1. Weltkrieg kommt der totale Verlust der Hauptabsatzmärkte USA und England, so dass der Export fast völlig einbricht und nach und nach auf andere Länder ausgerichtet werden muss. | |||||||||||||||||||||||||||||
1919 | wird der „Verband der Stoffhandschuhfabrikanten“ gegründet, der 200 Mitglieder aus der Region Limbach und Chemnitz mit etwa 30.000 Beschäftigten vertritt. Theodor Grobe, Leiter der Oberfrohnaer Firma Hermann Grobe, ist Gründer und Ehrenvorsitzender des Verbandes. | ||||||||||||||||||||||||||||
1928 | beträgt der Umsatz der Branche wieder 75,7 Millionen Goldmark, bei einem USA-Preis von 13,85 Goldmark pro Dutzend sind das ungefähr 65 Millionen Paar (etwa 80% von 1913). | ||||||||||||||||||||||||||||
Nach 1930 | kann die Branche dank hoher Qualität und hervorragender Standortbedingungen weiterhin gute Umsätze erreichen. | ||||||||||||||||||||||||||||
Der 2. Weltkrieg bringt den totalen Umbruch der Weltwirtschaft sowie einen extremen Modewechsel nach dem Krieg. Limbach verliert nicht nur den Status „Welthauptstadt des Handschuhs“, sondern auch viele Fachleute, viele Firmen, viele Standortvorteile. | |||||||||||||||||||||||||||||
Nach 1950 | erleben die wenigen übrig gebliebenen Stoffhandschuh-Firmen noch einmal ein kleines modisches Hoch. | ||||||||||||||||||||||||||||
Nach 1960 | verschwindet der modische Stoffhandschuh bis auf kleine Marktnischen, es folgt der vollständige Niedergang dieser Branche. In Limbach-Oberfrohna fertigen nur noch die drei Firmen C.A. Kühnert (Marke UKAS), Paul Mosig (Marke UNITAS) und der VEB Wirkmode (Nachfolger von H. Dittrich) bis in die 1980er Jahre kettengewirkte Handschuhe. | ||||||||||||||||||||||||||||
Heute | gibt es nur noch wenige deutsche Hersteller von Stoffhandschuhen, die zumeist Funktionshandschuhe - u.a. für Fahrradfahrer, Wintersportler, Skater, - und in geringem Umfang noch feine Damenhandschuhe, z. B. Hochzeits- und Ballhandschuhe produzieren. In Limbach-Oberfrohna ist kein Stoffhandschuh-Hersteller mehr vorhanden! |
Verfasser | Jürgen Lohr, Irmgard Eberth |
Quellen |
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Bilder | Sammlungsbestand Esche-Museum Limbach/Oberfrohna |
Die Informationen zur Heimat- und Industriegeschichte der Region Limbach sind von Mitgliedern des Fördervereins gesammelt und für die Besucher des Esche-Museums aufbereitet worden. Das Internetangebot umfasst nur eine Auswahl von Beiträgen und soll Anregung sein, sich bei einem Besuch des Esche-Museums vor Ort eingehender zu informieren.
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