Paul Stelzmann Wirkwaren-Fabriken A.-G. Limbach |
„Wahrscheinlich war die Bezeichnung Kunst-Seide etwas unglücklich gewählt, da der Laie annahm, dass es sich hier um etwas Künstliches handele, und jedem künstlichen Produkt stand das Publikum mit einem gewissen Misstrauen gegenüber. Wahrscheinlich war aber gerade diese unglücklich gewählte Bezeichnung Kunst-Seide mit daran schuld, dass es Jahrzehnte dauerte, bis das der Kunstseide vom Publikum entgegengebrachte Misstrauen verschwand.“ Paul Stelzmann in einem Vortrag vor dem Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität Freiburg, Mai 1938 | ||
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1888 | Am 06.12. wurde Paul Stelzmann als Sohn eines Zimmermannes in Röhrsdorf geboren. Seine Mutter näht in Heimarbeit Handschuhe, der Sohn musste selbstverständlich helfen: Nähen und Abliefern. So lernte er die Welt des Kontors kennen und schätzen. | |
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Paul Stelzmann wollte selbständiger Unternehmer und „reich werden“. Da er einen Auslandsaufenthalt als für einen zukünftigen Unternehmer dringend notwendig ansah, ging er einen ungewöhnlichen Weg und bewarb sich in einem ungarischen Betrieb als „Direktrice“, damals ein ausgesprochener Frauenberuf. Die Bewerbung konnte er im Hotel Victoria in Chemnitz bei dem Unternehmer direkt vorbringen, wurde eingestellt und arbeitete ein Jahr in Vac, nicht als Direktrice, der Chef hatte dann doch eine andere Stelle für ihn. | ||
1914 | In seinem 25. Lebensjahr hatte Stelzmann die 2.000 Mark für die Unternehmensgründung zusammen. | |
Am 01.07. machte er sich mit einem Rundstuhl und 12 Nähmaschinen selbständig. Das erste Firmendomizil umfasste 55 qm Produktionsfläche. Stelzmann hatte - aus einigen Reisen - Aufträge nach England, und der erste Monat verlief vielversprechend. 12 Mädchen nähten aus gekauftem Stoff Trikotagen. Der erste Monatsumsatz betrug 8.000 Mark. | ||
Am 01.08. erklärte Kaiser Wilhelm die allgemeine Mobilmachung. Für die Unternehmen bedeutete das u.a., dass alle Baumwollbestände beschlagnahmt und anschließend durch die Kriegs-Rohstoff-Stellen den Betrieben nach dem Verbrauch des Jahres 1913 zugeteilt wurden. Stelzmann musste also ein bis dahin nicht „bewirtschaftetes“ Garnmaterial finden, das war 1914 ein neuer Rohstoff: die Kunstseide. Einige Limbacher Wirkerei-Unternehmen hatten schon seit 1912 mit diesem „Ersatz-Stoff“ Versuche gemacht, waren aber mit dem Ergebnis nicht recht zufrieden. Stelzmann arbeitete gemeinsam mit einem Hersteller von Kunstseide an der Entwicklung eines für Wirkwaren geeigneten Fadens. Die erste Ware wurde im Herbst 1914 auf den Markt gebracht. | ||
In der Festschrift zum 25-jährigen Betriebsjubiläum heißt es: „Schon bis Ende des Jahres hatte er in Kunstseide einen starken Umsatz“. Das ist sehr schön gefärbt. Stelzmann selber schreibt 1932 in einem Brief an Paul Fritzsching: „Als Ende 1914 mit dem allgemeinen Friedensschluss gerechnet wurde, bekam ich von meinen Abnehmern fast alle gelieferte Ware wieder zurück, da angenommen wurde, der Krieg würde bald vorbei sein und es dadurch wieder reinseidene Stoffe geben würde.“ Die ersten gelungenen Artikel waren Damenjacken. In den Kriegsjahren wurde Kunstseide ausschließlich auf Rundstühlen verarbeitet. | ||
1917 | übersiedelte die Firma in ein größeres Gebäude an der Weststraße 42. Da der Krieg sich nun doch hinzog, arbeitete Stelzmann weiter an der Verbesserung der Kunstseidenverarbeitung. Das wurde zunehmend schwieriger, denn zum Kriegsende fiel auch die Kunstseide - wie Stelzmann schreibt - „der Beschlagnahme anheim“. | |
Nach Kriegsschluss waren große Lagerbestände vorhanden, sie wurden aber der Industrie nicht oder erst nach harten Kämpfen zugänglich gemacht. Als Stelzmann 1919 in der Kriegs-Rohstoff-Abteilung Kunstseide für Kleiderstoffe erbat, wurde er abgewiesen. Man könne, so meinten die „Rohstoff-Versorger vom Amt“ auf den Rundstühlen ja Abfallgarne und Papiergarne verarbeiten. Tatsächlich hat man während des Krieges Militärhemden und Soldatenunterhosen aus Papiergarn hergestellt. | ||
1919 | bot Stelzmann, der eigentlich den englischen Markt zurückerobern wollte, kunstseidene Strickkrawatten in Amsterdam an. Damit begann der erneute Aufschwung für die Firma. Paul Stelzmann hat sich in dem Konkurrenzkampf - auch der Baumwolle und Seide verarbeitenden Betriebe gegen die Kunstseide - mit Selbstbewusstsein und Kampfgeist, aber immer auch mit technischen und technologischen Verbesserungen durchgesetzt. So hatte er z. B. 1923 eine eigene Appretur und Färberei für die Kunstseide eingerichtet. Denn im Anfang ließ die Gleichmäßigkeit der gefärbten Artikel zu wünschen übrig. Dank der Arbeiten Stelzmanns und seiner Zusammenarbeit mit den Herstellern und den Forschungsinstituten konnten Kunstseidenartikel dann sogar in feinsten Pastellfarben geliefert werden. | |
Die bekannteste Marke der Firma Stelzmann war „Pastell“ - Paul Stelzmann Limbach. Der Name wies gleichzeitig auch auf die zarten Farben der Unterwäsche hin. | ||
1920 | Am 01.01. wurde der neu gebaute Betrieb in der Chemnitzer Straße 34 eröffnet. | |
Die Kunstseide hatte in den 1920er Jahren, in der Inflations- und Nachinflationszeit, eine große Verbreitung gefunden. Im Limbacher Tageblatt hatte Paul Fritzsching in dem Teil „Chronik“ die Geschichte der Kunstseide publiziert, wie sie ihm von Stelzmann zugearbeitet worden war. Da gab es einen heftigen Zank: Versammlung von Unternehmern, die dagegen protestierte, dass Stelzmann die Kunstseidenwirkerei hier eingeführt habe, es seien auch andere da zu nennen. Eingang in die Unterwäsche-Herstellung fand Kunstseide aber erst 1926. | ||
1926 | fand eine Ausstellung in Leipzig statt, auf der Erzeugnisse aus Kunstseide präsentiert wurden, um die Vorurteile gegenüber der Kunstseide abzubauen. Dazu hatten sich die Hersteller der Kunstseide und die Verarbeiter zusammengetan. Später hat dann die Strumpfindustrie Kunstseide eingesetzt und erfolgreich Werbung betrieben, u. a. mit Aufnahmen von Marlene Dietrich. | |
Als unbestritten gilt heute, dass Paul Stelzmann als erster Wirkwarenhersteller die Kunstseide in der normalen Produktion verarbeitet hat. Die Firma Stelzmann hatte sich dann auch Verdienste erworben bei der Industrieeinführung von „Zellwolle“ nach 1936 (Vistrafaser), wichtig hierbei war vor allem die Verarbeitung von Mischgarnen - Baumwolle und Zellwolle - speziell für die Heeresverwaltung. In Deutschland wurden 1938 ca. 100 Millionen kg Zellwollfaserstoff produziert. | ||
Das Wachstum der Firma Stelzmann erfolgte in atemberaubendem Tempo. | ||
1930 | Um die Wasserversorgung zu sichern, wurde ein Grundstück dazu gekauft und ein Brunnen von 78 m Tiefe gebohrt. | |
1931 | erwarb Stelzmann ein zweites Grundstück, dort wurde 1936 ein Brunnen von 138 m Tiefe gebohrt. | |
1934 | erwarb Stelzmann 1/3 der Aktien des 1930 stillgelegten Viskosewerkes Glauchau (Spinnstoffwerk Glauchau A.-G.) und half damit, es mit Unterstützung der Stadt Glauchau und der Färbereikonvention Gera-Greiz wieder in Gang zu bringen. | |
1936 | errangen Pastell-Erzeugnisse auf der Leistungsschau der Deutschen Arbeitsfront in Hersfeld eine „besondere Anerkennung“ | |
1935-1938 | Die Firma Paul Stelzmann hatte in diesen Jahren 650 Mitarbeiter und 150 Heimarbeiter. Der Betrieb verarbeitete etwa 1,5 Millionen kg Garne pro Jahr. Die sozialen Belange für die Belegschaft spielten für die damaligen Verhältnisse eine nicht untergeordnete Rolle. Es gab vorbildliche Freizeitanlagen, soziale Einrichtungen, eine Betriebskapelle und Betriebstanzgruppen. | |
1939 | wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. | |
Angesichts der heute so verteufelten Zuarbeit zu zentralen Statistiken (Zusatzbelastung, die nichts bringt! Sogar die Bundeskanzlerin will die Betriebe von dieser Last „befreien“) ist die Wertung Stelzmanns zu diesem Thema eine Anmerkung wert. | ||
„Meine sehr geehrten Herren! Ich sagte Ihnen schon anfangs, daß Sparen und Arbeiten die Voraussetzungen für einen Erfolg sind: Neben diesen Eigenschaften ist aber auch eine Betriebsstatistik für jeden gut geleiteten Betrieb unerläßlich. Es ist sehr bedauerlich, daß diesem Thema von Unternehmerseite aus zu wenig Interesse entgegengebracht wird. Wer nicht richtig rechnet, kann auch nicht sparen, und ohne Sparen und richtig Rechnen kann eine gesunde Wirtschaft nicht existieren.“ Paul Stelzmann in einem Vortrag vor dem Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität Freiburg, Mai 1938 | ||
Paul Stelzmann war ein innovativer und erfolgreicher Unternehmer. Er hat große Verdienste um die Entwicklung der Textilindustrie in Limbach. Paul Stelzmann wurde Vater von 4 Töchtern. Die Kriegswirren und familiären Verhältnisse ließen keinen geeigneten Nachfolger für das von ihm geschaffene Imperium erkennen. | ||
Zeitzeugen wissen von der Verstrickung Paul Stelzmanns in die Nazi-Bewegung zu berichten. Er gehörte mit einer Gruppe gleichgesinnter Unternehmer zu den Unterstützern der NSDAP und zu den Käufern des Hotels „Hirsch“, das dann SA-Lokal und Folterkeller wurde. | ||
1945 | wurde der Betrieb auf SMAD-Befehl enteignet. Paul Stelzmann kam mit seiner Tochter Edith, verheiratete Wünschmann, aus Bad Kissingen zurück nach Limbach, um sich dagegen zu wehren. | |
Er wurde verhaftet und ins Zuchthaus Bautzen verschleppt. Nach 4½ Jahren wurde er wegen guter Führung entlassen und ging nach Bad Kissingen zu seiner Frau. Rehabilitiert durch die Bundesrepublik Deutschland, mit einem entsprechenden Lastenausgleich entschädigt, gründete Paul Stelzmann in den 50er Jahren eine neue Firma in Bayreuth, die Rundwirkwaren für die Schuhindustrie produzierte. | ||
Aus der Limbacher Firma wurde der VEB Pastell, der 1954 mit anderen Firmen zum VEB Sternwäsche zusammengelegt und schließlich 1965 in den VEB Feinwäsche „Bruno Freitag“ integriert wurde (Mehrstufenbetrieb unter Einbeziehung des Werkes „Roter Färber“ in Kändler). | ||
Der Markenname für die in diesem Betrieb hergestellte - übrigens sehr begehrte - Unterwäsche war „STRETTA“. |
Verfasser | Irmgard Eberth |
Quellen |
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Die Informationen zur Heimat- und Industriegeschichte der Region Limbach sind von Mitgliedern des Fördervereins gesammelt und für die Besucher des Esche-Museums aufbereitet worden. Das Internetangebot umfasst nur eine Auswahl von Beiträgen und soll Anregung sein, sich bei einem Besuch des Esche-Museums vor Ort eingehender zu informieren.
Hinweise und geeignete Dokumente zum angesprochenen Themenkreis nehmen wir jederzeit gern entgegen.